Historische Arbeiten
W. Griem, 2020Inhalt der Seite:
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mehr geovirtual
Neumayr, Uhlig (1897)
Geologie
Inhalt:
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Ursachen der Erdbeben
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Die drei Erdbebentypen
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Einsturzbeben
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Vulkanische Beben
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Tektonische Beben
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Abb. 171: Verschiebung
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Beispiel Japan 1881
●
Relaisbeben
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Beispiel Belutschistan 1892
--- [2]
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Abb. 174: Kathedrale Paterno
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Untersuchungsmethoden
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Statistische Methoden
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Erdbeben und Jahreszeiten
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Korrelation mit Klima
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Erbebendienste
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Epizentrum
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Abb. 173: Ausbreitung
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Tiefenbestimmung
●
Analyse der Beschädigungen
●
Richtung der Beben, Schäden
●
Zeitablauf Erdbebenwellen
--- [3]
●
Isoseisten-karte
●
Tiefe des Bebens, Dutton
● Art der Wellenbewegung
●
Ermittlung Geschwindigkeit
●
Differenzierte Ermittlung v.
●
Art der Erdbebenwellen
●
Messinstrumente
● Abb.
176: Autograph
●
Wellen an der Erdoberfläche
●
Abb. 177: Bewegung Teile
●
Ausblick zur Forschung
●
Wichtige Observationen
Foto/Scan - Digital Bearbeitet: (W.Griem, 2007,
2020);
von: M.Neumayr / V.Uhlig (1897)
"Abb. 175: Karte eines Erdbebens – Isoseisten-karte , Original Größe der Abbildung:
13 cm x
8
cm.
Titel:
Karte eines Erdbebens – Isoseisten-karte von Charlston; nach Dutton.
Neumayr, M. Uhlig, V. (1897): Erdgeschichte. -
Band 1: 692
Seiten, 378
Abbildungen; Band 2: 700 Seiten, 495 Abbildungen, Verlag Bibliographisches Institut,
Leipzig und Wien.
[Sammlung W. Griem]
Die Abbildungen wurden mit einem HP
Scanjet G3110 mit 600dpi eingescannt, danach mit Corel Draw - Photo
Paint (v. 19) digital bearbeitet. Speziell Filter der
Graustufenverbesserung, Elimination von Flecken sowie Verbesserung der
Schärfe wurden bei der Bildbearbeitung angewandt (W. Griem 2020).
Die Texte wurden mit einer Pentax
Kr-3 II digitalisiert und später mit ABBYY (v.14) verarbeitet und zur
OCR vorbereitet. Frakturschriften wurden mit ABBYY Fine Reader Online in
ASCII umgewandelt; "normale" Schriftarten mit ABBYY Fine Reader Version
14.
Die Texte wurden den heutigen Rechtschreibregeln teilweise angepasst, es
wurden erläuternde und orientierende Zeilen eingefügt (W.Griem, 2020).
Untersuchungsmethoden der Erdbeben.
Original Text von Neumayr & Uhlig, 1897: Erdbeben
[3]
p. 355 in der OCR Version; p.331 in der Fraktur Version
[vorheriger
Text]
Tiefe des Bebens nach Dutton:
In neuerer Zeit hat CH. Dutton gelegentlich der Bearbeitung des Bebens
von Charleston im Jahrs 1886 eine neue Methode zur Ermittlung der Tiefe
des Herdes vorgeschlagen, welche der Bedeutung der transversalen Wellen
gerecht zu werden sucht. Aber leider ist auch diese Methode nicht frei
von Fehlern: sie setzt eine gleichmäßige Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der Bebenwelle voraus, während wir annehmen müssen, daß dieselbe mit der
Tiefe wegen der daselbst größeren Elastizität der Gesteine bedeutend
wachse. Dutton findet auf Grund seines Verfahrens zwei nahe benachbarte
Herde von etwa 13 und von etwa 19 km Tiefe; A. Schmidt leitet dagegen
für dasselbe Erdbeben eine Herdtiefe von wahrscheinlich über 100 km ab.
Art der Wellenbewegung
Besondere Aufmerksamkeit hat man ferner der Ermittlung der Art der
Wellenbewegung bei Erdbeben und ihrer Fortpflanzungsgeschwindigkeit
zugewendet, beides Probleme der schwierigsten Art, zu deren allseitiger
Lösung gegenwärtig nicht mehr als die ersten tastenden Versuche gemacht
sind. Was zunächst die Fortpflanzungsgeschwindigkeit betrifft, so beruht
die Bestimmung derselben hauptsächlich auf der Vergleichung des
zeitlichen Eintreffens der Stöße an verschiedenen Stellen des
Schüttergebietes. Nun sind aber diese Zeitbestimmungen in Wirklichkeit,
wie wir gesehen haben, größtenteils so wenig verläßlich, die
Fehlergrenzen so weit, daß das Ergebnis dadurch in unzulässigem Grade
beeinflußt wird. Nur bei Auswaschungs- und bei vulkanischen Beben ist
das Ausgangsgebiet ein zentrales und räumlich beschränktes, bei der
Mehrzahl der Beben dagegen erfolgt die Erschütterung im eigentlichen
Schüttergebiet fast gleichzeitig; sie geht von einer gegen die
Oberfläche verschieden geneigten, weit gedehnten Fläche aus, und in
diesem Falle wird die Bestimmung der Fortpflanzungs-geschwindigkeit wohl
nur in den seitlich vom Schüttergebiet gelegenen Gegenden eintreten
können. Endlich wird die Bebenbewegung durch eine Reihe verwickelter
Faktoren beeinflußt, deren Bedeutung wir zwar im allgemeinen kennen, für
die wir aber nur in Ausnahmefällen eine bestimmte Fassung werden
vornehmen können. Wir wissen, daß die Geschwindigkeit der
Elastizitätswellen im allgemeinen von der Dichte, der Homogenität und
der Elastizität des Materials abhängt. Nun ist aber unsere Erde, welche
die Bebenwelle fortleitet, weit entfernt davon, ein homogener Körper zu
sein, und Dichte und Elastizität sind in den verschiedenen Teilen
derselben bedeutenden Schwankungen unterworfen. In größerer Tiefe ist
das Material der Erdkruste unzweifelhaft viel elastischer und homogener
als nahe der Oberfläche. Die äußerste Kruste der Erde zeigt einen
ungemein vielfachen Wechsel verschiedenartiger Gesteine; Myriaden von
Spalten, Schichtfugen und Höhlungen durchziehen die Gesteinsmasse, und
dazu kommen noch die verschiedenen Grade der Durchtränkung und die
verschiedenen Temperaturen. Endlich ist noch zu berücksichtigen, daß die
Elastizität der Gesteine gewisse Grenzen hat; werden diese
überschritten, so wird ein Teil der lebendigen Kraft zur Bildung von
dauernden Deformationen des Festen verwendet und die Arbeit in Wärme
umgesetzt. Auf diese Weise verliert der Stoß gegen die Oberfläche immer
mehr an Intensität.
Ermittlung der Fortpflanzungs-Geschwindigkeit:
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Bebenwelle muß aus diesen Gründen
in der Tiefe wesentlich größer sein als nahe der Oberfläche. Mit der
Hemmung der Bebenwelle und der Verringerung der
Fortpflanzungsgeschwindigkeit in der Nähe der Oberfläche muß auch eine
Ablenkung der Stoßrichtung, des „Emergenzwinkels", eintreten. Da wir nun
aber genötigt sind, bei unseren Bestimmungen von der Oberfläche
auszugehen, so ergibt sich, wie schwierig und wenig verläßlich die
Schlüsse sind, welche wir auf die an der Oberfläche gewonnenen Werte
gründen.
Die ersten Schritte zur experimentellen Ermittlung der Geschwindigkeit
der Erschütterungen im Gestein wurden von R. Mailet unternommen, welcher
durch Versuche mit Sprengmitteln erwiesen hat, daß die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit von der Stärke des Anstoßes abhängig ist.
Dies wurde später von H. Abbot durch Beobachtungen gelegentlich der
großen Sprengungen bei Hallet's Point in der Nähe von New York
bestätigt, und es zeigte sich auch, daß die Geschwindigkeit abnimmt, je
weiter die Welle vordringt. Daß die Fortpflanzung in der Streichrichtung
der Schichten rascher vor sich geht, als senkrecht darauf, ist schon
seit längerer Zeit bekannt. Quer zum Streichen stehen die zahllosen
Schichtfugen störend im Wege und wirken abschwächend und verzögernd. I.
Milne konnte ferner erweisen, daß den verschiedenen Komponenten einer
Erschütterung eine verschiedene Geschwindigkeit zukommt. Natürlich
spielt auch das Material, welches den Erregungszustand weiterführt, eine
wichtige Rolle; so geschieht die Fortpflanzung in losem Sande viel
langsamer als in dem weit elastischeren kompakten Granit oder Kalkstein.
Vergleicht man die Zahlenwerte, welche von verschiedenen Forschern zu
verschiedenen Zeiten ermittelt sind, so zeigt es sich, daß die neueren
Angaben fast durchaus größere Geschwindigkeiten aufweisen; sie dürften,
weil auf genauere Versuche begründet, mehr Vertrauen verdienen. Dies
gilt besonders von den durch Michel Levy und Fouque gefundenen Zahlen,
welche wir hier Mitteilen.
Die Geschwindigkeit beträgt:
im Granit: 2450-3141 m
im kompakten Kohlensandstein: 2000-2526 m
im weniger festem Permsandstein: 1190 m
im kambrischem Marmor: 632 m
in den Sanden von Fontainebleau ungefähr: 300 m
Neben der mineralischen Beschaffenheit sind auch noch die Struktur, die
Porosität und die Durchtränkung von Einfluß.
Nach dem oben Mitgeteilten müssen Beben, deren Herd in geringer Tiefe zu
suchen ist, eine mäßige Fortpflanzungsgeschwindigkeit aufweisen. Dies
trifft in der Tat zu. Wohl die geringste Zahl, 20 meter in der Sekunde,
findet A. Schmidt für das Schwäbische Alb-Beben vom 14. Oktober 1890,
dessen Herd in die Tiefe von ungefähr 100 m verlegt wird. Diesem fast
befremdend niedrigen Wette reihen sich zunächst die von Rossi bestimmten
und zwischen 100 und 300 m schwankenden Geschwindigkeiten für
italienische Beben an; für das Beben von Herzogenrath von 1873 gibt
Lasaulx 360 m, für das zweite Beben von Herzogenrath 475 m an, für das
rheinische Beben von 1846 ermittelte Schmidt 560 m, für das
mitteldeutsche von 1872 wurde 742 m, für das Wernojer vom 9. Juni 1887:
265—850 m, für das andalusische von: 25. Dezember 1884: 1500 — 2000 m,
für das Charlestoner vom Jahr 1886 gar 5100—5200 m in der Sekunde
gefunden.
Auffallend hoch erscheint die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des
Charlestoner Bebens, und doch dürfte gerade dieser Wert besonders
vertrauenswürdig sein, da über dieses Beben eine größere Anzahl genauer
Zeitangaben vorlag als bei allen früheren Beobachtungen. Die Theorie
fordert für die Fortführung der Stoßwelle in kieseligen Massen (Glas)
von unbegrenzter Ausdehnung die Geschwindigkeit von 4724—5333 m in der
Sekunde, so daß also in dieser Richtung Übereinstimmung bestände. Die
Geschwindigkeit der mikroseismischen Welle, welche wir schon im
vorhergehenden besprochen haben, steht nach der Mehrzahl der Angaben
zwischen den für das andalusische und das Charlestoner Beben ermittelten
Werten, nähert sich aber mehr dem ersteren. Allem Anscheine nach werden
wir für die mikroseismischen Wellen, welche sich in größerer Tiefe
wahrscheinlich mit mehr gleichmäßiger Geschwindigkeit fortpflanzen, in
nicht zu ferner Zeit durch Beobachtungen an Horizontalpendeln, an
seismischen und astronomischen Apparaten zuverlässige Zahlen erhalten.
Weit schwieriger dagegen wird stets die Ermittlung der Geschwindigkeit
der eigentlichen Bebenstöße bleiben.
Differenzierte Ermittlung der Fortpflanzungs -
Gewschindigkeiten:
In neuerer Zeit gingen die Bemühungen auch dahin, etwaige Unterschiede
der Fortpflanzung in verschiedenen Teilen der Schüttergebiete bestimmter
aufzufassen. Man hat die Wahrnehmung gemacht, daß die Wellen örtlich
voraneilen, an anderen Stellen dagegen Zurückbleiben; so war z. B. bei
dem ligurischen Beben vom 23. Februar 1887 die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit in der Richtung nach Westen, also gegen
Nizza und Marseille, etwas größer (im Mittel 1450 m), und kleiner nach
Genua (im Mittel etwa 580 m). Es wurde sogar beobachtet, daß die
Geschwindigkeit mit wachsender Entfernung vom Epizentrum zunehme, ein
Verhältnis, das der allgemeinen Regel nicht entspricht, wohl aber nach
A. Schmidt dann zutrifft, wenn der Erdbebenherd sehr nahe der Oberfläche
gelegen ist. In solchen Fällen wird auch mit der Möglichkeit gerechnet
werden müssen, daß die Geschwindigkeitszunahme einem Relaisbeben oder
einem Simultanbeben im Sinne Reyers zuzuschreiben sei. Der Hauptgrund
für die verschiedene Fortpflanzung nach verschiedenen Richtungen liegt
aber wohl im geologischen Bau des erschütterten Gebiets; so üben größere
Gebirgskerne zumeist einen verzögernden Einfluß auf die Bebenwelle aus.
Dies zeigte sich bei dem andalusischen Beben, bei welchem die
kristallinischen Kerne der Sierra de Ronda im Westen und der Sierra
Nevada im Osten für die Verbreitung der Stöße maßgebend waren. Versucht
man es, die Punkte gleichstarker Erschütterung, die Isoseisten,
festzustellen und kartographisch zu verzeichnen, so erhält man ein
graphisches Bild des Wellenganges, und in diesem müssen die Einflüsse
der geologischen Gestaltung zum Ausdruck kommen. So erkennt man z. B.
aus der Isoseistenkarte des Charlestoner Bebens (s. Abbildung 175), daß
die Bebenwellen am Rande der Appalachen eine Verzögerung erfuhren, aber
nur jene, welche Zerstörungen des 6., 5. und 4. Grades der
Rossi-Forelschen Intensitätsskala hervorgebracht haben; die dem
2. und 3. Intensitätsgrade entsprechenden Wellen wurden nicht beeinflußt.
Es braucht wohl kaum betont zu werden, daß derartige Isoseistenkarten
nach unseren gegenwärtigen Hilfsmitteln keinen Anspruch auf Exaktheit
erheben können; hierzu fehlt uns eine Intensitätsmaßeinheit. Wir sind
auf die Vergleichung der Wirkungen angewiesen, und diese werden in
demselben Falle von verschiedenen Beobachtern verschieden beurteilt
werden, ja sogar derselbe Forscher wird im Laufe der Arbeit seinen
persönlichen Maßstab unbewußt verändern, wie dies C. Dutton, der
Verfasser der Isoseistenkarte des Charlestoner Bebens, sehr richtig
hervorgehoben hat. Trotzdem sind solche Arbeiten nützlich und fördern
unsere Einsicht.
Art der Erdbebenwellen:
Wohl noch größere Schwierigkeiten als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
bereitet die Frage nach der Art der Erdbebenwellen. Daß die sogenannten
sukkussorischen oder subsultorischen Stöße durch normale
Elastizitätswellen hervorgerufen werden, unterliegt keinem Zweifel: die
Teilchen der Erdoberfläche werden hierdurch zu einer nach aufwärts und
abwärts gerichteten Bewegung veranlaßt. Diese aber muß nach den Gesetzen
der Mechanik an der Oberfläche transversale Wellenbewegungen, analog den
bekannten Gravitationswellen des Wasserspiegels, anregen und hierdurch
die Teilchen zum Ausweichen in seitlicher Richtung veranlassen. Eine
weitere Komplikation erfährt die Wellenbewegung noch dadurch, daß an der
Oberfläche eine Reflexion der Beben- wellen nach innen eintreten muß.
Dazu kommt aber noch, daß die Bebenwellen in den oberen Teilen der
Erdrinde durch die daselbst vorhandenen Myriaden von Klüften, Spalten,
Schichtfugen, Höhlungen und den häufigen Wechsel von Gesteinen
ungleicher Elastizität und Dichte offenbar in höchst mannigfaltiger
Weise beeinflußt werden und bereits deformiert an die Oberfläche treten.
Unter diesen Umständen kann die Art der Bewegung, welche die Oberfläche
darbietet, nur in beschränktem Maße über die Wellenbewegung in größerer
Tiefe Ausschluß geben. Nun ist es, dank den Bemühungen und dem
Scharfsinn der Seismologen, in Japan tatsächlich gelungen, die
seismische Bewegung eines Teilchens der Erdoberfläche festzustellen und
zu messen, und zwar durch sehr sinnreiche Vervollkommnungen der
sogenannten Seismometer, von denen schon wiederholt die Rede war, und
über die wir an dieser Stelle einige Bemerkungen einstigen wollen.
Messinstrumente:
Instrumente zur Feststellung des Eintretens, der Richtung und Stärke
eines Erdstoßes hat man auf verschiedene Art konstruiert. So ist z. B.
eine flache Schüssel, in welcher sich mit Kleie bestreutes Wasser
befindet, ein Seismometer der rohesten und einfachsten Art. Eine leise
Erschütterung genügt, um das Wasser ins Schwanken zu bringen; die Kleie
bleibt dann an den Wänden der Schüssel kleben und bezeichnet durch ihre
Lage die Richtung des Stoßes. Schon bedeutend besser ist eine
Vorrichtung, die aus einem Becken mit acht genau in gleicher Höhe in den
Seitenwänden gleichmäßig verteilten Löchern besteht. Das Becken wird bis
zum Unterrande der Löcher mit Quecksilber gefüllt, und jede
Erschütterung wird durch die ihrer Richtung entsprechenden Öffnungen
eine je nach ihrer Stärke größere oder kleinere Menge Quecksilber
ausschütten, das in kleinen Schüsselchen ausgefangen wird. Andere
Seismometer bestehen im wesentlichen aus einem Pendel, z. B. einem Faden
mit daran hängendem Bleilot und mit einer nach unten gerichteten Spitze,
welche eine Sandfläche oder eine berußte Glastafel eben noch berührt.
Eine Erschütterung bringt das Lot zum Schwingen und läßt es eine Furche
im Sande oder auf der Tafel ziehen. Um die Zeit zu ermitteln, wann ein
Stoß eintritt, haben R. von Seebach und Lasaulx Apparats vorgeschlagen,
bei denen durch die Erschütterung entweder eine stehende Uhr in Gang
gebracht oder eine gehende gehemmt wird.
Abb. 176: Autograph des Erdbebens von Tokio.
Natürlich genügen so rohe Instrumente nicht den Anforderungen der
fortgeschrittenen Wissenschaft. Man hat zunächst in Italien genauere
Seismometer gebaut; aber der erste wirklich bedeutende Fortschritt wurde
durch den Wagenerschen Erdbebenmesser in Japan angebahnt. Derselbe
schreibt nicht nur die Zeit und Richtung des Stoßes selbsttätig mit
einem Stifte auf Papier nieder, sondern gibt auch in etwas vergrößertem
Maßstab die Größe der Bewegung an, welche die Erdoberfläche erleidet.
Die obenstehende Zeichnung gibt das Autograph eines leichten Erdbebens,
das in Tokio am 25. Juli 1880 stattgefunden hat, des ersten, welches
überhaupt auf diesem Wege beobachtet wurde. Wir sehen um 2 Uhr 3 1/10
Minuten die Erschütterung mit einigen leisen Zuckungen beginnen und
einen etwas stärkeren Stoß folgen, bei dem die Horizontalbewegung der
Erdoberfläche ½ mm betrug. Nach wenigen leichten Schwingungen folgte
wieder ein merklicher Stoß mit 1 mm Erdbewegung, der ½ Minute nach
Beginn der Erschütterung eintrat; dann 48 Sekunden hindurch nur leichte
Schwingungen, auf welche der stärkste Stoß mit 1,67 mm Bodenbewegung
erfolgte. Ihm schlossen sich wieder leichte Vibrationen an, mit
Einschluß deren das ganze Beben gerade 2 Minuten dauerte, wie es
obenstehend von des Erdbebens eigener Hand geschrieben zu sehen ist.
Bald genügte aber auch dieser Apparat nicht, denn er gibt nur die
Bewegung eines Teilchens in horizontaler Richtung an. Den
Pendelapparaten hastet ferner der Nachteil an, daß die Pendel, einmal in
Bewegung gesetzt, weiter schwingen. Seither haben Gray, Milne, Ewing und
andere so vortreffliche Verbesserungen an den Seismometern ausgeführt,
daß diese nunmehr nicht nur die vertikale, sondern auch die beiden
horizontalen Komponenten der Erschütterung gesondert verzeichnen und auf
rotierendem photographischen Papier selbsttätig registrieren.
Auf Grund der Aufzeichnungen dieses Gray-Milneschen
Seismographen hat Professor Sekei Sekiya ein aus Kupferdraht gefertigtes
Modell hergestellt, welches in fünfzigfacher Vergrößerung die Bewegung
eines Erdteilchens von der ersten bis zur 72. Sekunde während eines
Erdbebens (es war das vom 25. Januar 1887) zur Anschauung bringt (s.
Abbildung - 177) und den unmittelbaren Beweis liefert, wie
außerordentlich kompliziert die Bewegungen der Oberflächenteilchen unter
der Einwirkung der Bebenwellen gestaltet sind. Die größte seitliche
Abweichung beträgt in diesem Falle 7,3 mm, die größte vertikale Bewegung
1,3 mm. Es traten zuerst kleine Erzitterungen, 5—6 m der Sekunde, auf,
dann folgten Oszillationen von 1/2—2 und 2 ½ -Sekunden
Schwingungsperiode, und nach der 71. Sekunde hörten die
Vertikalbewegungen fast ganz auf, dagegen dauerten die horizontalen noch
mehr als eine Minute mit großer Stärke fort. Die Wellenperiode oder die
Zeitdauer einer Welle ist nach den Aufzeichnungen des Seismographen von
der Intensität des Stoßes abhängig.
Wellen an der Erdoberfläche:
Die Tatsache ist jedenfalls sehr merkwürdig, daß bei einem schon recht
merklichen und Schrecken verursachenden Beben, wie das hier
besprochene, die vertikale Bewegung der Teilchen wesentlich stärker
ausholende Bodenbewegungen vorauszusetzen. Selbstverständlich können die
Angaben des Seismometers über Amplitude und Schwingungsperiode der
Oberflächenteilchen keine absolute Basis für die exakte
Charakterisierung der tieferen Wellen abgeben; es ist aber
nichtsdestoweniger schon ein großer Gewinn für die Wissenschaft, wenn
zunächst die faktische Oberflächenbewegung festgestellt ist, und es kann
keinem Zweifel unterliegen, daß diese besonders in Japan geförderte
Forschungsrichtung für die Zukunft noch reiche Früchte verheißt .
Abb. 177: Bewegung eines Erdteilchens
Man findet häufig die Angabe, daß sich Erdbeben in Bergwerken oder
tiefen Brunnen viel schwächer fühlbar machen als auf der Oberfläche; es
fehlt aber bis jetzt an exakten Bestimmungen in dieser Richtung. Sekiya
und Omori haben sich der Ermittlung dieses Verhältnisses zugewendet und
durch Vergleich der Aufzeichnungen eines auf der Oberfläche und eines
möglichst genau gleichen, in einem 6 m tiefen Brunnen angebrachten
Seismographen festgestellt, daß bei schwachen Beben kein wesentlicher
Unterschied zwischen der Oberfläche und der Tiefe besteht; wohl aber
existiert ein solcher in auffallendem Maße für die kleinen, raschen
Erzitterungen, in geringerem Grade für die Hauptstöße.
Ausblick (1897) auf die zukünftige Erdbebenforschung:
Wie wir gesehen haben, sind auf dem Gebiet der Erdbebenforschung
hauptsächlich nach zwei Richtungen hin große Erfolgs zu erwarten: durch
Erfassung des Zusammenhanges zwischen den Erdbeben und dem geologischen
Bau der betroffenen Gegenden und durch die systematische Beobachtung und
experimentelle Untersuchung mit Hilfe der Seismographen. Was in
letzterer Hinsicht bisher geschehen ist, gereicht wohl den beteiligten
Staaten und Forschern zu großer Ehre und ist auch gewiß nicht gering
anzuschlagen, aber vorläufig bilden diese Bestrebungen nur einen
vielversprechenden Anfang. Erst wenn wir über ein alle Kulturstaaten
überspannendes Netz von Beobachtungsstationen verfügen und diese
Arbeiten jahrelang fortgesetzt sein werden, können wir über eine
genügende Summe von Tatsachen zu gebieten hoffen, die uns einen tieferen
Einblick in das Wesen der so verbreiteten und verheerenden
Naturerscheinung der Erdbeben gestatten werden. Für die meisten dieser
Stationen würden einfachere Apparate genügen; man würde von ihnen nicht
mehr zu erwarten brauchen, als ein richtiges Registrieren der fühlbaren
Bebenstöße. Außerdem müßten aber einige andere mit den genauesten
mikroseismischen Instrumenten ausgestattet sein und unter fortdauernder
Kontrolle physikalisch und astronomisch geschulter Beobachter stehen.
Die spezifisch seismischen Experimente, Beobachtungen der
Wellenbewegung, Studien über die etwaigen Beziehungen der seismischen
Vorgänge zum Erdmagnetismus etc., werden naturgemäß jederzeit vorwiegend
jenen Ländern Vorbehalten sein, in denen Erdbeben zu den täglichen
Erscheinungen gehören, wie Japan, Italien und andere.
Wenn wir auch auf eine derartige Organisierung und Verallgemeinerung des
Erdbebendienstes den größten Wert legen müssen, so ist damit
selbstverständlich nicht gesagt, daß das Studium einzelner stärkerer
Erdbeben, wie es bisher zumeist üblich war, in Zukunft an Bedeutung
verlieren werde; es wird im Gegenteil ebenso unerläßlich bleiben wie
bisher, und auch in Zukunft werden die Erdbebenforscher in demselben
Maße auf die Hilfe des Nichtgeologen angewiesen sein wie bisher. In der
Tat ist wohl auf keinem anderen Gebiet die Beobachtung jedes Einzelnen
von so hohem Werte wie bei den Erdbeben. Es ist ein Zufall, der nicht
allzu oft eintrifft, daß ein Geologe gerade an der Stätte eines größeren
Erdbebens weilt, und selbst wenn er sich an Ort und Stelle befindet,
trifft es ihn ganz unvorbereitet oder in einer Lage, die eine sofortige
Beobachtung nicht zuläßt. Selbst wenn alle Bedingungen günstig sind,
kann er nicht mehr tun, als die Zeit so genau wie möglich zu bestimmen
und die Erscheinungen in der unmittelbaren Umgebung zu beobachten. Aber
dadurch ist nur eine zuverlässige Notiz gegeben, während man deren zur
richtigen Beurteilung eine sehr große Menge braucht. Nur durch das
Zusammenwirken aller kann ein befriedigendes Resultat geliefert werden,
und darum sollte niemand, der irgend eine nennenswerte Bemerkung in
dieser Beziehung macht, es unterlassen, sie sofort einem Geologen
mitzuteilen, natürlich am besten demjenigen, welcher der Stelle der
Erschütterung am nächsten wohnt. Jede solche Mitteilung wird mit Dank
angenommen werden, und wenn sie auch der Empfänger nicht selbst
verwertet, so wird er doch dafür sorgen, daß sie in die richtigen Hände
komme.
Von kaum geringerer Bedeutung als die Kenntnis der Erscheinungen während
der Erschütterung ist die nachträgliche Untersuchung der Wirkungen,
welche diese zurückgelassen hat. Hier kann natürlich nur der Geologe
selbst die Hauptarbeit verrichten, da allein sein Auge, vertraut mit der
Methode und mit den Umständen, die von Wichtigkeit sind, alle die
Einzelheiten gewahrt, welche die Beurteilung beeinflussen. Nach den
meisten größeren Erdbeben, die sich in letzterer Zeit in leicht
erreichbaren Gegenden zugetragen haben, sind sofort mehrere Geologen an
Ort und Stelle erschienen, um die eingestürzten Gebäude, Sprünge in
Mauern, Spalten des Bodens etc. zu studieren und von den Leuten an Ort
und Stelle Nachrichten einzuziehen. Trotzdem ist es nicht möglich, alles
zu sehen, was sich zugetragen hat, und infolgedessen sind Mitteilungen
aus dem Publikum über solche dauernde Veränderungen ebenfalls von hoher
Bedeutung Und sehr wünschenswert. Um eine Vorstellung von der Menge der
Beobachtungen zu geben, die für die richtige Beurteilung eines Erdbebens
nötig sind, mag berichtet werden, nach welchen Materialien z. B. das
Werk von Wähner über das Agramer Erdbeben verfaßt ist. Der Autor selbst
hat fünf Wochen an Ort und Stelle, ausschließlich mit diesem Gegenstand
beschäftigt, zugebracht; mehrere andere Geologen aus Wien, Pest und
Agram waren in ähnlicher Weise beschäftigt, und ihre Beobachtungen
konnten mit benutzt werden. Durch Vermittlung einiger
Eisenbahndirektionen lagen die Berichte von weit über hundert
Eisenbahnstationen vor, die Seebehörde hatte solche von sämtlichen
Hafenkapitänen und Leuchtturmwächtern der weiten Strecke von Cattaro bis
zur italienischen Grenze mitgeteilt; außerdem gingen sehr zahlreiche
Privatmitteilungen und Zeitungsberichte ein, so daß Beobachtungsmaterial
über etwa 750 verschiedene Ortschaften vorlag. Zwar waren noch manche
Lücken vorhanden, aber im ganzen war auf dieser Grundlage ein richtiger
Einblick in das Wesen jenes Erdbebens möglich durch die vereinigte
Tätigkeit von mehr als 1000 verschiedenen Beobachtern, deren Resultate
sich in einer Hand vereinigten. Eine ebenso große Menge von Einzeldaten
mußte von CH. Dutton zum Zwecke der Bearbeitung des Erdbebens von
Charleston bewältigt werden.
Man hört oft die Ansicht äußern, daß es gar nicht der Mühe wert sei, die
verhältnismäßig schwachen Beben unserer Gegenden zu studieren; von
Nutzen und wahrer Bedeutung könne ja doch nur die Untersuchung der
Erscheinung in ihrer mächtigsten Entwickelung sein. Diese Meinung ist
aber vollkommen falsch; einzelne Punkte treten allerdings bei den
furchtbarsten Katastrophen mit erschreckender Klarheit hervor, aber in
den meisten Beziehungen sind leichte Erdbeben zum Studium weit
geeigneter. Bei einem Stoße, der eine Stadt in wenigen Augenblicken in
einen Schutthaufen verwandelt und Hunderte oder Tausende von Einwohnern
tötet, bleibt wenig Zeit und Ruhe zu genauer Beobachtung; sinnlose Panik
oder stumpfe Verzweiflung sind die herrschenden Gefühle, aber selbst der
Besonnenste und Kaltblütigste wird weit eher daran denken, sich und
andere zu retten. Nur Ausnahmemenschen werdet: in einem solchen Moment
die Ruhe besitzen, die Sekundenuhr herauszuziehen und Anfang und Dauer
der Erschütterung zu notieren. So erhält man gerade bei den heftigsten
Erdbeben in der Regel nur ganz vage Berichte, die über manche der
wichtigsten Dinge nicht die nötige Klarheit bieten, das menschliche
Interesse spannen und befriedigen, aber die Wissenschaft nicht
wesentlich fördern. Ferner ist bei den stärksten Stößen alles in so
greulicher Weise verwüstet und durcheinander geworfen, daß man auch
nachträglich nicht mehr die Beobachtungen über die Lage eingestürzter
Mauern, die Richtung von Sprüngen ic. machen kann, die bei mittleren
Erdbeben, wie dem von Agram, so wichtig sind.
Die Punkte, worauf bei diesen Beobachtungen besonderer Wert gelegt
werden muß, sind folgende:
1) Zeit des Eintrittes und Dauer der Erschütterung, wenn möglich auf
Bruchteile von Minuten genau; die Uhr, nach der die Beobachtung gemacht
wurde, muß möglichst bald mit einer Normaluhr, etwa mit derjenigen der
nächsten Bahn- oder Telegraphenstation, verglichen werden.
2) Zahl und Art der Erschütterungen; waren diese wellenförmig oder
sukkussorisch?
3) Richtung des Stoßes, nach dem eigenen Gefühl und nach der
Schwingungsrichtung in Bewegung geratener Gegenstände, z. B. von
Hängelampen.
4) Stärke der Erschütterung; welche Wirkungen brachte sie hervor?
5) War ein Geräusch zu hören?
6) Sind Beschädigungen an Gebäuden vorgekommen, und welcher Art waren
sie? Sonstige Wahrnehmungen, eigene wie fremde, sind beizufügen.
Es würde als ein großer Gewinn zu betrachten sein, wenn diese Zeilen die
Überzeugung förderten und verbreiteten, daß es Pflicht eines jeden
intelligenten Menschen ist, das Seinige zur Förderung der geologischen
Wissenschaft beizutragen, indem er jede Beobachtung, die ihm möglich
ist, mitteilt.
Ende: p. 362 in der OCR Version; p. 338 in der originalen Fraktur
Version
Geschichte der Geowissenschaften
Allgemeine Geologie
Erdbeben, Seismik
Erdbebenspalten (Beudant, 1844)
Erdbeben Verwerfungen (Beudant, 1844)
Text: Erdbeben (Naumann, 1850)
Erdbeben Guadeloupe (Ludwig, 1861)
Verschiebungen (Lyell, 1872)
Erdbebenspalten Kachar (E. Suess, 1875)
Text: Erdbeben (Siegmund, 1877)
Erdbebenspalten (Credner, 1891)
Text: Erdbebentypen (Credner, 1891)
Erdbeben Alpen (Suess, 1875)
Text: Ursachen Erdbeben (Neumayr 1897)
Erdbeben Spalte in Japan (Neumayr 1897)
Verschiebung Erdbeben (Neumayr 1897)
Schienenverbiegung (Neumayr 1897)
Text: Untersuchungs- Methoden (Neu. 1897)
Ausbreitung Erbebenwellen (Neumayr 1897)
Kalabrien, Erdbeben 1857 (Neumayr 1897)
►
Charleston, Isoseisten-karte (Neumayr 1897)
►
Autograph des Erdbebens (Neumayr 1897)
►
Bewegung Erdteilchen (Neumayr 1897)
Verteilung der Erdbeben (Kayser, 1912)
Polwanderungen (Walther, 1908)
Gondwanaland (Walther, 1908)
Wesen der Kontinente, Ozeane (Kayser, 1912)
Kontinent-Ränder (Kayser, 1912)
Biografien
der Autoren
M.Neumayr
/ V.Uhlig (1897)
Neumayr & Uhlig (1897) in der OCR-Version, korrigiert mit Anmerkungen im
Download-Zentrum
Erdbeben in Atacama
Auflistung
1851: Gilliss
Burmeister (1859)
1859 Johnstone- Henwood
Treutler 1882 (Chile)
Treutler: Erdbeben in Tres Puntas
1918: Rojas Carrasco
1922 Rojas Carrasco
Skript Tektonik (esp.)
Einfallen
Arten der Störungen
Tektonische Daten
Kompasse : Freiberger und Brunton
Chronologie tektonischer Elemente
Gangkreuzungen
Virtuelles Museum:
Geologie (span.)
Störungen in Fotos
Falten
Falten in Schiefern
Geschichte der Geowissenschaften
Geschichte der Geowissenschaften
Geschichte Allgemeine Geologie
Geschichte Paläontologie
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Inhalt Bergbau-Geschichte
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