Historische Arbeiten
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Geologische Karte de Alpen, nach Neumayr, 1897: Hier
die gesamte Karte. Unten der Text, eine recht detaillierte Beschreibung
der Alpen aus der Sicht von 1897.
Die Alpen:
En detaillierter Text mit einigen interessanten Bemerkungen:
●
Die Alpen sind extrem gut gegliedert.
●
Die Alpen sind keineswegs Symmetrisch.
●
Die Existenz von Decken-Überschiebungen.
Alles Argumente, welche nicht unbedingt die damalige
Geosynklinal-Hypothese unterstützen.
Geologische Karte der Alpen (Neumayr & Uhlig, 1897)
Detail, Juraketten und Schweiz (Neumayr & Uhlig, 1897)
Nördliches Alpenvorland und Bayern (Neumayr & Uhlig, 1897)
Geologische Karte der Westalpen (Neumayr & Uhlig, 1897)
Geologische Karte der Ostalpen (Neumayr & Uhlig, 1897)
Geologische Karte von Norditalien, südliche Alpen (Neumayr &
Uhlig, 1897)
Abbildung: Geologische Karte der Alpen. Aus Neumayr & Uhlig (1897):
Original Abbildung
03 - Band 2 (OCR-Version)
Neumayr, M. Uhlig, V. (1897): Erdgeschichte. - Band 1: 692 Seiten, 378 Abbildungen; Band 2: 700 Seiten, 495 Abbildungen, Verlag Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien. [Sammlung W. Griem]
Die Abbildungen wurden mit einem HP
Scanjet G3110 mit 600dpi eingescannt, danach mit Corel Draw - Photo
Paint (v. 19) digital bearbeitet. Speziell Filter der
Graustufenverbesserung, Elimination von Flecken sowie Verbesserung der
Schärfe wurden bei der Bildbearbeitung angewandt (W. Griem 2020).
Die Texte wurden mit einer Pentax
Kr-3 II digitalisiert und später mit ABBYY (v.14) verarbeitet und zur
OCR vorbereitet. Frakturschriften wurden mit ABBYY Fine Reader Online in
ASCII umgewandelt; "normale" Schriftarten mit ABBYY Fine Reader Version
14.
Die Texte wurden den heutigen Rechtschreibregeln teilweise angepasst, es
wurden erläuternde und orientierende Zeilen eingefügt (W. Griem, 2020).
Original Text Neumayr & Uhlig, 1897 Die
Alpen
Bd. 2 p. 13- 28 in der OCR Version; p. 487 in der Original Version:
Die Alpen.
Einführung:
Den allgemeinen Verlauf der Alpenkette vom Golfe von Genua bis in die
Gegend von Wien und nach Steiermark haben wir oben angedeutet. Manche
Einzelheiten des geologischen Baues und der Zusammensetzung wurden auch
schon im ersten Bande (S. 357 ff.) mitgeteilt. So wurde die Abhängigkeit
der am weitesten nach Norden vorgeschobenen Falten von der Lage der
alten Massengebirge (Granitinsel von Dole, Vogesen, Schwarzwald,
böhmische Masse), das Vordringen der Juraketten in der Senkung zwischen
Schwarzwald und Vogesen, die Beeinflussung selbst der inneren Zonen der
Alpen durch die böhmische Masse eingehend besprochen. Der Gegensatz
zwischen der gefalteten und meist nach Norden überstürzten Außenseite
und dem gebrochenen Innenrande wurde hervorgehoben, die Zusammensetzung
aus einzelnen Zonen (miozäne Molasse, Flyschzone, Kalkzone,
kristallinische Zentralzonen) erwähnt, und auch die erdgeschichtliche
Entwickelung des Gebirges wurde unter anderem berührt. Hier müssen wir
an der Hand der beigehefteten „Geologischen Karte der Alpen" näher auf
die Einzelheiten der Kettenbildung entgehen.
In zwei großen, konzentrisch angeordneten Zonen treten in den
Westalpen kristallinische Gesteine hervor; in der inneren
bilden sie einen zusammenhängenden Gürtel, in der äußeren tauchen sie
nur als isolierte, inselartige Zentralmassive unter einer gefalteten
Decke jüngerer Formationen auf. Wir unterscheiden in der äußeren, nach
dem Montblanc benannten Zone neben kleineren Aufbrüchen hauptsächlich
folgende Zentralkerne: Seealpen, Pelvoux (Masse von Oisans), Belledonne,
Grandes Rousses, Montblanc, Aiguilles Nouges, Aarmassiv, Gotthardmassiv.
Die innere oder die Zone des Monte Rosa besteht aus einem großen,
verhältnismäßig einfach gebauten, weit gespannten Gewölbe von
kristallinischen Felsarten, das an der Innenseite, gegen die
piemontesische Ebene, scharf abbricht und auf der Außenseite von einem
breiten, energisch gefalteten Bande von Sedimentärbildungen, der inneren
Sedimentärzone der Westalpen (der „zweiten und dritten alpinen Zone"
Lorys oder dem „Brianonnais" Dieners), umgürtet wird.
In dreifacher Hinsicht verdient diese innere Sedimentärzone der
Westalpen unsere Aufmerksamkeit: der geologische Bau ist
verwickelt, Erscheinungen des Metamorphismus sind sehr verbreitet, und
die Ausbildung gewisser Schichten nähert sich der ostalpinen. Dieser den
Westalpen sonst fremde Typus fällt am meisten bei den Triaskalken und
Dolomiten mit Gyroporellen auf. Außer diesem Gestein wird die Trias des
Brianconnais noch durch Quarzite, Hornsteine und Schiefer vertreten; in
großer Verbreitung kommen Gesteine der Kohlenformation und
verrucanoartige Gesteine der Permformation vor. Ferner sind Lias und
Oberjura in Form von Kalksteinen bekannt, auch die Kreide und eozäne
Konglomerate nachgewiesen. Der Metamorphismus hat namentlich die
Gesteine der Kohlenformation ergriffen, zu der unter anderem auch
chloritische Gneise und Glimmerschiefer, die Fortsetzung der weiter
östlich ausgeschiedenen Casanna-Schiefer, gerechnet werden. Die
eigentümlichste metamorphische Bildung dieser Zone sind aber die
sogenannten Glanzschiefer (Schistes lustres), serizitische, kalkreiche
Schiefer von halbkristalliner Beschaffenheit, deren Stellung lange
verkannt war. Erst durch den Nachweis ihres Vorkommens in verschiedenen
Formationen wurde eine Klärung wenigstens angebahnt. Die Hauptmasse der
Glanzschiefer dürfte den paläozoischen Formationen, namentlich dem
Karbon, angehören; aber auch in der Trias erscheinen Gesteine derselben
Art. Merkwürdigerweise nimmt die metamorphe Beschaffenheit aus der
Mittelzone des Brianconnais, die durch Gesteine der Kohlenformation
gebildet wird, gegen Osten fortschreitend zu. Diese Mittelzone der
Kohlenformation ist zugleich für den geologischen Bau wichtig: östlich
davon legen sich schiefe Falten nach Osten, gegen Italien, an, westlich
davon fallen sämtliche Falten gegen Westen, gegen Frankreich, ein. Auf
diese Weise kommt eine fächerförmige Struktur zu stände, die das ganze
Brianconnais beherrscht. Nach Süden zu nimmt ein Band von Eozän statt
der Kohlenformation die tektonische Mittelstellung ein; nach Norden
erweitert sich nach M. Bertrand die Mittelzone dermaßen, daß selbst das
Massiv des Monte Rosa einbezogen wird.
Auch in der äußeren Zone des Montblanc äußert sich der mächtige
Seitendruck in der Fächerstruktur der Zentralmassen, die namentlich am
Pelvoux, am Aar- und Gotthardmassiv und am Montblanc hervortritt (s.
Band I, die Profile auf der Tafel bei S. 347, unten). Der Sedimentgürtel
der äußeren Zone (die subalpinen Ketten) ist ebenfalls in intensiver
Weise gefaltet. Seinen Verlauf am Außenrande der Seealpen, in der Gegend
der Scharung mit den provenzalischen Ketten, haben wir schon oben
gekennzeichnet. Durch die nordwestlich angeschlossene, breite Masse des
Mont Pelvoux werden die subalpinen Ketten weit nach außen gedrängt, so
daß sie zuerst ostwestlich, dann nordwestlich und endlich im Bogen
umlenkend nordöstlich streichen und feston- artig die Masse des Pelvoux
umgeben. Während die Hauptketten am Nordrande der Zone des Montblanc bis
an ihr Ostende in den Glarner Alpen ununterbrochen fortstreichen, lösen
sich bei Chambery einzelne Ketten unter sigmoidaler Beugung (vgl. Band
I, S. 345) und wiederholten Blattverschiebungen gegen Nordwesten ab und
bilden das Juragebirge (vgl. Band I, S. 342).
So entsteht zwischen dem abgeirrten Jurazweig und dem Hauptstamm der
Alpen die breite Niederung des Molasselandes, die durch Konglomerate,
Nagelfluh und andere miozäne Bildungen eingenommen wird. Bevor wir diese
äußerste subalpine Zone und den Hauptstamm der Alpen weiter verfolgen,
werfen mir noch einen flüchtigen Blick auf das Juragebirge.
Die Juraketten:
Seit langem werden die Juraketten als Schulbeispiel einer regelmäßigen
Faltung angeführt (s. Band I, die Profile auf der Tafel bei S. 347,
oben), und mit vollem Recht. Hier wechseln normale langgezogene Mulden
(„combes“) und Antiklinalen in sehr regelmäßiger Weise. Gegen Süden und
Südosten, gegen das Molasseland zu, findet ein ziemlich steiler Absturz
statt, während nach außen Bergformen und Falten flacher werden. Diese
gehen allmählich in Flexuren über, die schließlich verschwinden, und der
Kettenjura verflacht sich nach außen zum Plateaujura. Eine der
merkwürdigsten Erscheinungen des Juragebirges bilden die
Überschiebungen, die unter dem stauenden Einfluß der alten Massen des
Schwarzwaldes und der Vogesen entstanden sind. Wie schon Band I (S. 358)
bemerkt worden ist, breiten sich unmittelbar am Fuße der alten
Gebirgskerne flachgelagerte oder schwach gegen Süden geneigte
Juraschollen aus, die unter dem schützenden Einfluß der darunter
liegenden starren kristallinischen Masse der Faltung entrückt waren.
Erst weiter südlich war die Möglichkeit zur Entstehung von Faltungen
gegeben, nach der Lage der kristallinischen Massen in ostwestlicher
Richtung. Die bedeutendste dieser Ketten beginnt in den Montagnes du
Laumont, streicht über den Mont Terrible bei Delémont bis zur
Lägernkette bei Baden, am Ostende des Kettenjura. Der östliche Abschnitt
dieser Kette ist nun, durch das Widerlager der alten Massen im Norden in
der Tiefe gestaut, in der oberen Partie so intensiv gefaltet worden, daß
die mannigfaltig gestörten Ablagerungen der Trias über Jura und Tertiär
hinübergeschoben wurden. Noch in einer anderen Beziehung ist das
Juragebirge interessant: obwohl tektonisch ein Teil des Alpensystems,
haben doch seine Ablagerungen nur zum geringsten Teil alpinen Typus.
Besonders gilt dies von der Triasformation, daneben aber auch vom Jura,
namentlich von den Bildungen an seiner oberen Grenze.
Wir kehren zum Hauptstamm der Alpen zurück. In dem
ganzen Zuge der sedimentären Bildungen am Außenrande der
Montblanc-Zone herrscht intensive Faltung, die sich namentlich
an der Finsteraarhornmasse in keilförmigen Einfaltungen der vorwiegend
kalkigen Sedimentgesteine in Gneis und umgekehrt und in der
Marmorisierung des Kalksteins extrem kundgibt (s. Abbildungen, Band I,
S. 346 und 348). In der östlichen Fortsetzung der Finsteraarhornmasse
liegen die Glarner Alpen: wiederum ein durch wahrhaft großartige
Störungen ausgezeichnetes Gebiet. Eine stark gefaltete, breite Mulde
eozäner Schiefergesteine ist hier von Süden her durch den Aufbruch
älterer Gesteine überdeckt, und eine ähnliche Überlagerung des Eozäns
durch ältere Gesteine findet von Norden her statt. Auch diese nördliche
Decke wurde als Überfaltung gedeutet, wobei der Mittelschenkel des
nördlichen Sattels durch die Gewalt der Bewegung förmlich ausgewalzt und
gänzlich reduziert sein sollte. Bei dieser Doppelfalte seien also die
geologisch jungen Eozängesteine der Muldenmitte im Norden wie im Süden
durch schiefe, in entgegengesetztem Sinne überfaltete Sättel förmlich
überwallt worden. Hinsichtlich des Nordflügels aber neigt man jetzt zu
einer etwas abweichenden Deutung, indem eine völlige Überschiebung der
Eozänschiefer durch die älteren Gesteine an einer flachen
Überschiebungsebene von fast 16 km Breite vorausgesetzt wird, und in der
Tat scheinen die neueren Beobachtungen im Glarner Hochgebirge (S.
untenstehende Abbildung, Abb. 4) diese Ansicht wesentlich zu stützen.
Übrigens ist der Unterschied beider Deutungen in gewisser Beziehung
nicht so groß, als es auf den ersten Blick scheinen möchte: jedenfalls
haben hier gewaltige Bewegungen der obersten Krustenteile ungefähr in
horizontaler, aber einander gerade entgegengesetzter Richtung,
einerseits von Süden nach Norden, anderseits von Norden nach Süden
stattgefunden.
Zwischen dem Molasseland im Norden und dem hochalpinen Sedimentärgürtel
der Montblanc-Zone im Süden tritt in den Westalpen eine
selbständige „voralpine" Gebirgszone auf, die an der Arve
beginnt, die Voirons, die Ketten des Chablais und der Freiburger Alpen
umfaßt und sich von da in abnehmender Breite bis an den Rhein verfolgen
läßt. Flyschschiefer und Sandsteine nehmen an der Zusammensetzung
wesentlichen Anteil; namentlich aber fällt es auf, daß die mesozoischen
Ablagerungen dieser voralpinen Zone eine andere Facies erkennen lassen
als im hochalpinen Gürtel. Die einzelnen Ketten im Norden dieser
voralpinen Zone haben eine bogenförmige Gestalt: sie wenden die konvexe
Seite der Krümmung nach außen, gegen Nordwesten; und wenn man die
Lagerungsverhältnisse untersucht, so findet man, daß hier auf einer 120
km langen Strecke von der Arve bis zum Rhein bald Trias-Dolomit, bald
Rät, Lias oder Jura auf alttertiärem Flysch aufruhen. Die mesozoischen
Gesteine bilden gesprengte Gewölbe, deren Hangendes weithin über den
Flysch geschoben wurde. Im südlichen Teil der Voralpen nehmen die
Flyschbildungen überhand; in gewissen Strichen enthalten sie große
Mengen von fremdartigen Gesteinen, und zwar bald als Bestandteile des
Sandsteins, bald als einzelne große Blöcke, bald als Breccien. Manche
unter diesen „exotischen" Gesteinen sind den Alpen fremd, besonders die
Granite. Daher wurde, weil die Annahme einer Einfuhr durch Eis bald
widerlegt war, der Bestand eines Gesteinswalles angenommen, durch dessen
Zerstörung die Blöcke geliefert worden sein sollten. Später wurden große
Granitinseln im Flysch von Tanninges in Savoyen entdeckt, die man als
Reste dieses unter der Einwirkung der Brandung des Tertiärmeeres
verschwundenen Gesteinswalles (des „Vindelizischen Gebirges" nach W. v.
Gümbel) betrachten durfte. Andere Blöcke stimmen so sehr mit den in der
Nähe anstehenden mesozoischen Gesteinen überein, daß man folgerichtig
schloß, es hätten die mesozoischen Gesteine schon in alttertiärer Zeit
Inseln im damaligen Meere gebildet und Strandgerölle geliefert.
Noch eine andere bemerkenswerte Erscheinung dieser Zone steht mit den
exotischen Blöcken in einem gewissen Zusammenhang: eine säst
geschlossene Reihe von Klippen mesozoischer Gesteine, die aus dem
geologisch jüngeren Flysch auftauchen, wie wenn sie die Spitzen eines
älteren, versunkenen und von Flysch eingehüllten Gebirges wären. So
deutete man auch zumeist diese „Klippen" der Schweizer Voralpen in der
Simmentaler Kette, in den Giswyler Stöcken, im Stanzer und Buochser Horn
und in der Gegend von Iberg. Die Übereinstimmung der meisten exotischen
Blöcke (ausgenommen die Granite) mit den Gesteinen der Klippen mußte
natürlich dieser Auffassung wesentlich Vorschub leisten. Trotzdem hat in
neuerer Zeit eine andere Deutung, die nämlich, in den Klippen
das Ergebnis einer Überschiebung zu erblicken, viel Anklang gefunden; ob
mit Recht, müssen wir unentschieden lassen, da über die Art und Herkunft
dieser Überschiebung bisher kein Einklang erzielt ist.
Wir gelangen nun an das Molasseland (vgl. S. 370) am Nordrande
der Alpen. In der Schweiz spielen hier neben Schiefertonen und
Sandsteinen eigentümliche Konglomerate, die „Nagelfluh",
eine bedeutende Rolle und schwellen zu ungewöhnlicher Mächtigkeit an.
Auch diese oberoligozänen und miozänen Gesteine wurden von der nordwärts
drängenden Bewegung der alpinen Gebirgsbildung ergriffen, hier
entstanden zwei oder drei schiefe Falten, „die Antiklinale der Molasse",
und der geologisch ältere Flysch ist auch hier wiederum über die
gesunkene Molasse nach Norden überschoben. Die energische Faltung dieser
Zone zusammen mit der bedeutenden Mächtigkeit der Molasse in der Schweiz
hatte zur Folge, daß hier sehr ansehnliche Berge, wie der 1809 m hohe
Rigi und der Speer, entstehen konnten. Wenn man aber die Molasse weiter
nach Osten verfolgt, nimmt die Höhe der Berge ab: über 1900 m dürfte
sich kein Gipfel dieser Zone in den Ostalpen erheben, weil die
Gesteinsmächtigkeit geringer und die Faltung weniger energisch ist. Im
Wesen aber ist die Erscheinung dieselbe: auch in den Ostalpen sind die
Schiefertone, Sandsteine und Konglomerate der Molasse am Alpenrande
gefaltet, von Flysch überschoben und lagern sich weiter gegen Norden,
vom Gebirgsrande entfernt, allmählich flacher (s. obenstehende
Abbildung, Abb. 5). Obwohl die geringere Höhe der Molasseberge sowie die
häufig mächtige Überdeckung mit pleistozänen Schottern verschiedener Art
die Beobachtung der Antiklinale der Molasse in den Ostalpen erschweren,
so darf doch darüber kein Zweifel bestehen, daß diese Zone
ununterbrochen als ein einheitliches Band von Chambery im Westen bis in
die Gegend von Wien verfolgbar ist.
Eine zweite Zone, die sich, abgesehen von gewissen Veränderungen,
ununterbrochen aus dem Westen nach Osten erstreckt, bilden die Voralpen.
Die Gesteine des Sentis überschreiten den Rhein und setzen im Bregenzer
Wald ein den Schweizer Ketten vollkommen analoges, hauptsächlich aus
Kreideformation bestehendes Gebirge zusammen. Der Flysch, der in der
Schweiz durch ältere Ketten in viele Streifen zerlegt war, tritt hier in
geschlossenerer Zone hervor; weiter östlich verschwinden die älteren
Inseln immer mehr, und endlich zieht der alttertiäre und oberkretazische
Flysch oder Wiener Sandstein als ein festes Band bis an das Ostende der
Alpen bei Wien. In den Westalpen besteht das nach innen folgende
Gebirgsglied aus den Zentralmassen der Montblanc-Zone; diese
verschwindet nach Osten mit dem Finsteraarhorn- und Gotthardmassiv
vollständig, uno weiter östlich existiert nichts, was sich als
Fortsetzung dieser Zone ansehen oder ihr an die Seite stellen ließe. Wie
verhält sich nun die nördliche Kalkzone und die kristallinische
Zentralzone der Ostalpen zu den Gebirgszügen der Westalpen, und wie
vollzieht sich der Übergang aus den West- in die Ostalpen in diesem
Teile des Gebirges?
Die auffallendste Erscheinung der ostalpinen Kalkzone
bilden die mächtigen Kalk- und Dolomitmassen der Triasformation. Sie
bedingen ausgedehnte Hochplateaus und beeinflussen so sehr die ganze
landschaftliche und topographische Gestaltung der Alpen, daß man ihre
Grenze, die Rheinlinie, mit der übrigens auch andere geologische
Veränderungen ungefähr zusammenfallen, als die Hauptscheidegrenze des
Alpenstammes betrachtet und hierauf die Einteilung in Ost- und Westalpen
nach dem Vorgang von Mojsisovics begründet. Diese ostalpinen Triaskalke
erscheinen zuerst östlich vom Rhein im Rätikon, und ihre östliche
Fortsetzung nimmt in den Lechthaler Alpen das regelmäßige ostalpine
Streichen nach Osten oder Ostnordosten an. Nahe der Rheinlinie dagegen
lenken die Kalkketten des Rätikon um die nordwestliche Ecke der
Silvretta Masse in, rechten Winkel nach Süden ein. Hier ist nun ihrem
weiteren Verlauf nach Süden durch den großen Einsturzkessel des
Prättigau vorderhand ein Ziel gesteckt; aber jenseits dieses
inneralpinen Bruch- und Senkungsfeldes, das mit Flyschbildungen erfüllt
ist, setzen die Kalkketten von neuem mit ungefähr meridionalem Streichen
an und bilden die Oberhalbsteiner Alpen. Wie diese Kalkketten, so
verläuft auch die kristallinische Adula-Masse, an die sich jene
anlehnen, fast meridional. Das Adula-System und die Oberhalbsteiner
Alpen im Gebiete des Hinterrheins sind nach einheitlichem Plan gebaut.
Parallele Störungslinien zerlegen das Gebirge in schmale Schollen, von
denen jede einzelne über die nach Westen anschließende geschoben ist. So
grenzt das Adula-System mit einer durch die Nordsüdlinie beherrschten
Tektonik in: Val Blegno an die fast ostwestlich streichende Tessiner
Masse des Monte Rosa an. Und wenn nun auch die kristallinische Masse der
Adula, die nach Nordosten schwenkende Silvretta- und die Livigno-Masse
als materielle Fortsetzung des Tessiner Massivs und der kristallinischen
Zone des Monte Rosa betrachtet werden dürfen, so sind doch diese
meridional und nordöstlich streichenden Ketten tektonisch unabhängig von
den Westalpen: sie bilden den Beginn der Ostalpen. Ähnlich verhält es
sich mit den Triaskalken. Auch diese treten ja in eine gewisse räumliche
Beziehung zu der östlichen Fortsetzung der Sedimentärzone des
Brianonnais oder der inneren hochalpinen Sedimentärzone. Die Triaskalke
dieses westalpinen Gebirgsgürtels sind viel stärker entwickelt, als man
früher angenommen hat, und stimmen völlig mit gewissen ostalpinen Trias-
kälken und Dolomiten überein, im Gegensatz zu den Triasbildungen am
Rande der Montblanc- Zone, die sich in ihrer äußerst dürftigen
Mächtigkeit anders als die ostalpinen entwickelt haben. In diesem Sinne
dürfen wir die ostalpine Kalkzone mit ihren mächtigen Triaskalkmassen
als Fortsetzung des Brianonnais ansehen, trotz ihrer tektonischen
Unabhängigkeit.
Südlich vom Adula-Massiv gelangen wir im Tale des Tessin
zu einer schmalen Zone steil gestellter Hornblendegneise und -Schiefer,
die, gegen Südwesten streichend, bei Ivrea die piemontesische Ebene
erreicht. Dann folgt gegen Süden abermals eine Zone von Granit, Gneis
und anderen kristallinen Schiefergesteinen: das Seengebirge oder Massiv
der Vier Seen (Lago d'Orta, Lago Maggiore, Lago di Lugano, Lago di Como),
und endlich die südliche Kalkzone. Da sich nun das Seengebirge
unmittelbar in der kristallinischen Zone des Veltlin fortsetzt, diese
aber den Ostalpen angehört, da ferner die Kalkkette am Südsaume des
Seengebirges den Beginn der großen südlichen Kalkzone der Ostalpen
bildet, so dürfen wir die westliche Grenze der Ostalpen, die wir von
Norden her bis zum Adula-Massiv verfolgt haben, von da ab mit K. Diener
an den Amphibolit-Zug von Ivrea verlegen, der das Massiv der Vier Seen
gegen Westen, gegen die kristalline Zone des Monte Rosa, deutlich
abscheidet.
Die kristalline Zentralachse oder die Urgebirgszone der Ostalpen
besteht also an ihrem Anfang aus zwei Hauptgliedern, dem südlichen
Gürtel des Seengebirges und des Veltlin und einem viel mächtigeren
nördlichen Gürtel, der selbst wieder in zwei Zonen zerfällt. Von diesen
setzt die eine im Adula-Massiv mit ungefähr meridionalem Streichen ein,
schwenkt, von Kalkzügen begleitet, gegen Nordosten ab und nimmt endlich
im Silvretta-Massiv, wie wir schon bemerkt haben, eine östlichere
Richtung an. Die andere, die aus der ostwestlich streichenden Bernina-Masse
und den kleineren Kernen der Livigno-Alpen besteht, schließt unmittelbar
östlich an die Adula-Masse an, zieht im weiteren Verlauf ebenfalls nach
Nordosten und geht endlich in das mächtige Massiv der Ötztaler Alpen
über. Diese beiden Gürtel schmiegen sich erst eng aneinander an, gehen
dann aber weiter auseinander. Die dadurch gegebene Mulde ist im Engadin
und im ganzen Inntal bis oberhalb Landeck mit mesozoischen Bildungen
erfüllt. Diese triadische und jurassische Auflagerung erscheint in
mehrere nach Nordosten streichende Falten gelegt, dehnt sich aber auch
in breiter Decke ostsüdöstlich bis an den Ortler aus und tritt
anderseits auch nach Westen um den Südrand der Silvretta-Masse mit den
Kalkzügen der Oberhalbsteiner Alpen in Verbindung, und zwar durch die
schmale Partie von rätischen und liassischen Schichten auf der Höhe des
Albula-Passes. Außerdem haben sich noch einige kleinere Partien von
mesozoischen Kalken auf dem Urgebirge der Silvretta- und der Bernina-Zone
da erhalten, wo sie in Mulden oder Grabenbrüchen von der Denudation
verschont geblieben sind, wie am Piz Alv. Der südliche Gürtel des
Seengebirges und des Veltlin streicht bis zu dem intrusiven Tonalitstock
des Adamello westöstlich, biegt hier gegen Nordnordosten um und nimmt
jenseits von Meran die ostwestliche Richtung an, so daß also die gesamte
Urgebirgszone der Ostalpen, mit ihr die nördliche und, wie wir sehen
werden, auch die südliche Kalkzone, an ihrem Beginn einen sigmoiden
Vorschub gegen Norden erkennen lassen, -östlich vom Brenner streicht die
Urgebirgszone der Ostalpen als einheitliches Band geradlinig nach Osten,
wird allmählich breiter und zugleich niedriger und geht schließlich in
zwei voneinander wegstrebenden Ästen, den Niederen Tauern und Mürztaler
Alpen im Norden und den Norischen Alpen im Süden, zu Ende. Im Winkel
dieser beiden Äste liegt am Ostrande der Alpen die große Silur- und
Devonmulde der Grazer Bucht, deren devonische Schichten sich durch
mehrfache Anklänge an den rheinischen Typus des Devons auszeichnen. Hier
erreichen im Kainacher Kessel auch die Gosaubildungen der Oberkreide die
Zentralzone, während ihr Auftreten sonst auf die Kalkzone beschränkt
ist. Der südliche Ast trägt Auflagerungen karbonischer Schichten mit
Pflanzenresten und Anthrazitflözen namentlich am Eisenhut und an der
Stangalpe.
Im westlichen Abschnitte der Tauernkette treten aus dem
Verbands der mannigfaltigen kristallinen Gesteine drei geologische
Gruppen deutlich hervor: granitische Kernmassen sind von Gneis und
Glimmerschiefer mantelförmig umhüllt, und an diese legen sich im Norden
und Süden teils verschiedenartige Phyllite, teils eine wechselvolle
Reihe von Schiefergesteinen (Hornblende-, Talk-, Chlorit-,
Kalkglimmerschiefer etc.; Sturz „Schieferhülle") mit Lagermassen von
Serpentin und körnigem Kalk an. Bald bilden die Granite den Kern
weitgespannter, kuppelförmiger Antiklinalen, bald kommt es zu südwärts
gerichteten Überschiebungen der ganzen Masse. Im östlichen Tauernzuge
nehmen die granitischen Kernmassen eine etwas schieferige Beschaffenheit
(Zentralgneis) an. An der Grenze zwischen den granitischen Kernen und
der Gneishülle treten in dieser einzelne Granitlager oder auch echte
Granitgänge auf; man erblickt in diesen Kernen lakkolithische oder
batholithische Intrusionen.
Wir betrachten nun die jüngeren gefalteten Gürtel im Norden und
Süden der Zentralzone. Über die Molassezone am äußersten
Nordsaum haben wir oben einige Bemerkungen eingeflochten, mit denen wir
uns begnügen können. Südwärts folgt die Flyschzone. Die Kreidewellen
dieses Gürtels, die aus der Schweiz nach Osten streichen und die
Rheinlinie überschreiten, verschwinden im Bregenzer Wald und am Grünten.
Hier drängt die immer breiter vortretende Kalkzone der Ostalpen die
Falten der Flyschzone weit nach Norden vor; hier, bei Hindelang an der
Grenze der Kalk- und Flyschzone, kommt auch der von Gümbel beschriebene
Aufbruch kristallinischer Gesteine vor, ein Seitenstück zu dem Granit
von Tanninges in Savoyen. Die Breite der dortigen Flyschzone ist so
stark reduziert, daß sie kein orographisch selbständiges Gebirgsglied
bildet. In steile Falten zusammengeschoben, fallen die Schichten des
alttertiären und oberkretazischen Flysch steil südlich unter die
Bildungen der Kalkzone ein, die Kontaktfläche selbst aber ist eine
ausgezeichnete, durch die ganze Ausdehnung des Gebirges verfolgbare
Längsbruchfläche. In derselben Weise, wie sich der Flysch über die
Molasse nach Norden schiebt, überwältigen auch die Kalkfalten den
gefalteten und an dem Längsbruch abgesunkenen Flyschgürtel. In der
Gegend von Salzburg ist die Flyschzone gänzlich versenkt: ein seltenes
Beispiel eines Einbruches am Außenrand einer gefalteten Kette. Jenseits
der Salzach aber breitet sich Flysch auf weiterer Fläche aus; die
Schichten, die hier vorwiegend der Oberkreide angehören, wenden sich
etwas mehr nach Nordosten. Diese Richtung herrscht bis an das Ostende
der Alpen. Die Breite der Flyschzone schwillt bis zu 20 km an; und die
meist reichbewaldeten, gerundeten und die Höhe von 1000 m selten
übersteigenden Bergzüge bilden nun auch orographisch ein wichtiges Glied
der Voralpen. Die Grenzlinie gegen die Kalkzone hat auch hier dieselbe
Bedeutung wie weiter westlich. Ein Unterschied im geologischen Bau ist
nur insofern vorhanden, als hier die Sandsteine und Schiefer in
regelmäßiger Folge fast ausschließlich gegen Süden und Südosten
einfallen. Man erklärt dies damit, die oberkretazisch-alttertiäre
Schichtreihe sei in wiederholte schiefe Falten gelegt, die zum Teil
durch Längsbrüche in eine Anzahl paralleler, übereinander geschobener
Streifen, Schuppen, zerlegt werde.
In der nördlichen Kalkzone der Ostalpen spielen
Triasablagerungen unbedingt die erste Rolle. Über ihnen folgen in
gleichmäßiger, ununterbrochener Lagerung Jura- und Unterkreidebildungen;
und räumlich herrschen trotz allen Wechsels der Hauptsache nach gegen
den Flysch zu jüngere, gegen Süden ältere Schichten vor. In Nordtirol
stellt sich die Kalkzone im allgemeinen als eine Folge von Mulden und
Sätteln dar, die häufig von gewaltigen Längsbrüchen, auch von
Querbrüchen und Verschiebungen durchzogen wird. Den einzelnen Falten
entsprechen wildgezackte Kalkketten, wie die Miminger Kette, der
Wetterstein mit der Zugspitze, das Karwendelgebirge und das
Kaisergebirge. Im Vergleich zu den Westalpen nimmt schon in Tirol die
Faltungsenergie ab, Brüche treten vor; noch mehr aber in den östlichen
Teilen der nordalpinen Kalkzone. Zugleich scheidet sich in dem
Gebirgsabschnitt zwischen dem Inn, der die ganze Breite der Kalkzone in
einem weiten Tale durchschneidet, und der Salzach die Kalkzone in einen
nördlichen und einen südlichen Streifen. In diesem herrscht vorwiegend
flache Lagerung. Hier entstanden in der Triaszeit auf weiten Flächen
mächtige, bald geschichtete, bald massige Nisse kalkig-dolomitischer
Natur (vgl. S. 197), die sich auch noch in Lias und Jura dabei oft so
gleichmäßig fortbildeten, daß man nicht immer imstande ist, diese
Formationen in den Kalkmassen streng zu begrenzen. Diese starren und
überaus mächtigen Riffkalke wurden von der Faltung nur wenig betroffen,
dagegen von gewaltigen Brüchen durchschnitten. An die Stelle der
langgezogenen, zugeschärften Kämme der nordtiroler Kalkalpen treten
breitmassige Kalkhoch- Plateaus und erheben sich mit steilen Wänden über
den Werfener Schiefern der Untertrias, die in den Tiefenfurchen, meist
an Längsbrüchen auftauchen. Verkarstete Steinwüsteneien von
schauerlicher Öde bilden die Oberfläche dieser riesigen Kalkklötze.
Regellos wechseln flache tellerartige Mulden und niedrige wellenförmige
Erhöhungen. Da und dort entstehen wie in Karstgebieten Schluchten und
brunnenartige Schlünde. Alles Gestein ist mit Karren bedeckt. Das
Steinerne Meer, die Übergossene Alm, das Hagengebirge, das Tennengebirge,
der Dachstein, das Tote Gebirge, die Ennstaler Kalkalpen sind die
bekanntesten dieser von der Salzach und der Enns in tiefen engen
Schluchten, dem Paß Lueg und dem Gesäuse, durchschnittenen
Kalkhochplateaus, die mit der Raxalpe und dem Schneeberg südlich von
Wien das Ostende der Alpen erreichen. Ist auch in dieser Zone eine
scharfe Aufrichtung nicht vorhanden, so fallen doch im allgemeinen die
Kalkplatten gegen Norden deutlich ein, d. h. von der Zentralkette gegen
den Außenrand. Dadurch setzt sich dieser südliche Gürtel der nördlichen
Kalkzone der Ostalpen in einen auffallenden Gegensatz zu dem nördlichen,
in dem ebenso wie in der Flyschzone das Einfallen der Schichten gegen
Süden als Regel gilt. Auch die Fazies-Verhältnisse der Trias- und
Juraablagerungen sind zum Teil verschieden, und die Mächtigkeit der
Schichten nimmt ab. Die Grenze dieser beiden Gürtel der Kalkalpen fällt
nach A. Bittner mit der ausgezeichneten Längsstörungslinie Buchberg —Mariazell—Windischgarsten
zusammen, an der die unterste Trias, Werfener Schiefer, derart an die
Oberfläche tritt, daß die jüngeren, triadischen und jurassischen
Schichten von Norden und von Süden unter die älteren Wersener Schiefer
der Störungslinie einzufallen scheinen. Es ist dies also die Linie der
größten Zertrümmerung des Kalkgebirges. Für die Geschichte der alpinen
Faltungen ist der Umstand von Bedeutung, daß eine Reihe ausgedehnter
Vorkommnisse von Gosau-Schichten innerhalb dieser Störungszone
unmittelbar auf Wersener Schiefer aufruht: ein Beweis, daß das
Kalkgebirge schon zur Zeit der Oberkreide den tektonischen Bau von heute
angenommen hatte.
Auch im Nordgürtel des Kalkgebirges ist die
Zerstückelung durch Quer-, namentlich aber durch Längsbrüche sehr weit
gediehen, so weit, daß die einzelnen Streifen selten volle Falten,
sondern vorwiegend nur einseitige Schichtfolgen bilden. Wo sich diese
regelmäßig wiederholen und nach derselben Richtung, nach Süden,
einfallen, entsteht Schuppenstruktur, wie dies von A. Bittner in den
niederösterreichischen Kalkalpen, namentlich dort, wo die Alpen schon
die nordöstliche Richtung der Karpaten angenommen haben, klar erkannt
worden ist. Man faßt diese einseitigen Wiederholungen der Schichtfolge
als die übereinander geschobenen Hangendflügel schiefer oder liegender
Falten auf, deren Liegendflügel zerrissen wurden.
Im Süden schließt sich an die Kalkzone die Grauwackenzone an, ein Gürtel
paläozoischer Schiefer, Sandsteine und Grauwacken mit untergeordneten
Kalk- und Dolomitlagern, der im Gegensatz zu dem schroffen, zackigen
Charakter der Kalkalpen durch gerundete und sanfte Formen ausfällt.
Obwohl in Steiermark und Salzburg mehrere silurische, devonische und
karbonische Horizonte in diesen Schichten durch Versteinerungen
festgestellt sind, so ist man doch bei der außerordentlichen Seltenheit
der Versteinerungen von einer durchgreifenden Gliederung noch weit
entfernt. Übrigens ist hier ein großer Teil der Sedimente kristallin
geworden: die Ablagerungen der Kohlenformation haben sich in semitische
Gneise, Glimmerschiefer und Phyllite, Kohlen in Graphit umgewandelt, was
am Semmering, in der Gegend von Bruck in Obersteiermark und am
Steinacher Joch in Tirol durch Pflanzenreste bestimmt nachgewiesen ist.
Aber auch dort, wo noch keine Versteinerungen gefunden sind, dürften die
Kalkphyllite, Quarzphyllite, die Tonschiefer, Tonglimmerschiefer und
Dolomitlager dieser durch Erzreichtum ausgezeichneten Zone hauptsächlich
der Kohlenformation, zum kleineren Teil auch älteren paläozoischen
Formationen angehören. Eine strenge Gliederung nach Altersstufen ist
aber vorläufig ebensowenig durchführbar wie bei der westlichen
Fortsetzung dieser Gebilde, den Bündner Schiefern der Ostschweiz und den
Glanzschiefern des Briansonnais. Ja, bei diesen westalpinen Bildungen
ist die Unterscheidung noch schwieriger, weil hier auch jüngere
Schichtgruppen ganz ähnlich entwickelt sind: die Glanz- schiefer
enthalten einen triassischen, die Bündner Schiefer außerdem noch einen
liassischen Anteil- Natürlich ist deshalb auch die Entzifferung des
geologischen Baues schwierig- Trotzdem hat man erkannt, daß die
Schichten in steile Falten gelegt sind und im allgemeinen ein Abfallen
von der kristallinischen Zone gegen Norden stattfindet.
Der Gegensatz zwischen den harten, widerstandskräftigen Gesteinen der
Kalkzone und den weicheren Schichten südlich davon kommt nicht nur in
den Bergformen zum Ausdruck, er gibt auch Veranlassung zu einer
eigentümlichen Anordnung der Wasserläufe und zu charakteristischer
Talbildung- Fast durch die ganzen Ostalpen verläuft ein Zug ostwestlich
gerichteter, breiter und tiefer Längstäler, die teils genau auf der
Südgrenze der Kalkzone, teils in deren unmittelbarer Nähe liegen: in
Steiermark das Mürztal, das Murtal von Bruck bis Leoben und die tiefe
Depression, die vom Murtal zum Ennstal bei Rottenmann zieht, das Ennstal
bis Radstadt- In gleicher Weise folgt das Inntal auf der langen Strecke
von Schwaz bis Landeck genau der Südgrenze der Kalkzone, und dieselbe
Lage hat in den Südalpen ein großer Teil des Pustertales. Die Gesteine
der Permformation, meistens rote Konglomerate, Schiefer und Sandsteine,
in Nordtirol auch verrucanoartige Quarz-Serizit-breccien und Quarz-Serizit-Phyllite,
liegen diskordant und transgredierend auf den Bildungen der
Grauwackenzone, stehen dagegen in vollkommener Konkordanz mit den
darauffolgenden mesozoischen Schichtgruppen der Kalkzone.
Das Vorkommen mesozoischer Ablagerungen schneidet übrigens mit der
südlichen Grenze der Kalkzone nicht vollständig ab- An mehreren Stellen
liegen größere oder kleinere Schollen auf der kristallinischen
Zentralkette und auf kristallinen paläozoischen Schiefern, haben hier in
der Regel eine Veränderung erlitten und mehr oder weniger Anlage zu
kristallinischer Struktur. Weitaus das wichtigste dieser Vorkommnisse
stellen die „Radstadter Tauern-Gebilde" dar, triadische Ablagerungen von
stark kristallinischer Beschaffenheit, stellenweise mit Spuren von
Versteinerungen, die südlich von Radstadt einen großen Flächenraum
bedecken- Andere, kleinere Vorkommnisse triadischer und liassischer
Auflagerungen finden sich in den Stubaier Alpen südlich und südwestlich
von Innsbruck und an einigen anderen Punkten.
In den Westalpen zeichnen sich ähnliche mesozoische
Schollen (vgl- Band I, S- 383) auf den kristallinischen Zonen durch
flache Auflagerung aus, so daß man zu der Annahme gedrängt wird, es
hätten in nachmesozoischer Zeit keine faltenden Bewegungen
stattgefunden- Anders bei den bisher näher untersuchten Vorkommnissen
der Ostalpen- Ein schmaler Streifen von Triasdolomit zwischen Mauls und
Weissenbach auf der Südseite des Brennerpasses ist nach G. Stäche und F.
Teller in Form einer nach Süden überschobenen schiefen Mulde dem
paläozoischen Quarzphyllit eingefaltet; und an den Triasschollen südlich
von Innsbruck beobachteten F. Frech und F- Sueß bedeutende, nach Norden
gerichtete Überschiebungen. Auch hier ist aber die transgressive
Auflagerung der permisch-mesozoischen Schichtfolge auf dem älteren
Gebirge nachweisbar- Nach F. Teller ist sogar anzunehmen, daß diese
jüngere Schichtfolge in ihrer räumlichen Verbreitung schon ursprünglich
von älteren tektonischen Linien, Längsbrüchen oder tiefer eingesenkten
Faltenmulden beeinflußt und von einem vorher gebildeten tektonischen
Relief abhängig war. Die späteren Einfaltungen, Überkippungen und
Überschiebungen der transgredierenden jüngeren Schichtreihe gingen nach
demselben Grundplan vor sich wie die älteren Faltungen.
Die Verfolgung der mesozoischen Kalkschollen der geschlossenen
Zentralzone hat uns den südlichen Kalkalpen genähert. Das
Auftreten einer breiten Zone von mesozoischen Kalkbildungen am Südrande
des Urgebirges hat hauptsächlich die Lehre vom symmetrischen Bau der
Ostalpen hervorgerufen- Daran wurde die Vorstellung (vgl- Bd-1, S- 355)
geknüpft, es hätten die Zentralmassen der Alpen beim Aufsteigen aus den
Tiefen der Erde die Kalkbildungen zu beiden Seiten weggeschoben und in
Falten gelegt. Diese Vorstellung mußte mit dem Fortschritt der
Wissenschaft verlassen werden und lebte nur noch insoweit aus, als
gewisse Kernmassen der Zentralalpen für Lakkolithen gehalten werden.
Obwohl man über das Wesen der Gebirgsfaltung zu anderen Anschauungen
geführt wurde, hat doch die Frage des symmetrischen Baues der Ostalpen
ihr Interesse nicht eingebüßt. Der Eindruck, den schon ein flüchtiger
Blick auf eine geologische Karte der Alpen (bei S. 488) hinterläßt,
spricht zu gunsten des symmetrischen Baues, und selbst bei näherer
Betrachtung finden sich unverkennbare Analogien. Fallen die Kalkmassen
der Nordalpen vom Urgebirge zunächst nach Norden ab, so legen sich aus
der Südseite ähnliche Kalkdecken mit schwacher Neigung nach Süden an.
Den nordwärts gerichteten Überschiebungen und Faltungen der Nordalpen
entsprechen solche nach Süden oder Südosten in den südlichen Kalkalpen.
. Allerdings werden diese Erscheinungen in den Südalpen nicht von allen
Beobachtern als echte Faltungen anerkannt: gerade einer der
kompetentesten Beurteiler, E. Such, möchte darin Absenkungen, Flexuren,
erblicken. „Ich bezeichne diese Störungen", sagt Sueß, „als Flexuren,
obwohl sie sich alle von dem einfachen Typus der stufenförmigen Flexur
durch zwei Merkmale unterscheiden, nämlich dadurch, daß der
Hangendflügel überbogen oder überkippt ist, und daß der liegende
Gebirgsteil eine wenn auch flache Neigung in entgegengesetzter Richtung
hat. Hierdurch erhalten diese Störungen das Aussehen von sehr
oberflächlichen schiefen Falten, aber es muß wohl jede Flexur diese
Abänderung erfahren, wenn zugleich mit der Senkung eine horizontale
Bewegung nach der Richtung der Senkung stattfindet."
Mag auch die Natur jener südalpinen Falten fraglich
sein, über andere tiefgreifende Unterschiede zwischen Nord- und Südalpen
kann kein Zweifel bestehen. So treten in den südlichen Kalkalpen mitten
aus den mesozoischen Bildungen Aufbrüche von Quarzphyllit und anderen
halbkristallinen, der paläozoischen Periode angehörigen Gesteinen auf,
wie solche den Nordalpen vollständig fremd sind. Ein solcher Ausbruch
liegt zwischen dem Nordende des Iseo-Sees und dem Idro-See; dann folgt
der mächtige, von Granit durchsetzte Aufbruch der Cima d'Asta, östlich
von Trient, die Insel von Quarzphyllit in der Tiefe des Tales von
Recoaro, die kleineren Inseln von Lorenzago bei Pieve di Cadore, endlich
der langgestreckte Zug der karnischen Hauptkette und der Karawanken.
Eine zweite Tatsache von Bedeutung ist die verschiedene Verteilung der
Eruptivgesteine, die im Norden fast gänzlich fehlen, im Süden dagegen
fast in allen Perioden weithin an die Oberfläche gelangt sind oder als
Lakkolithen gefördert wurden. Aus alt- permischer Zeit stammen die große
Quarzporphyrdecke von Bozen, die porphyrischen Ergüsse am Luganer See
und am See von Orta und die zahllosen kleineren Gänge von Porphyr, die
über die ganze südliche Kalkzone verstreut sind. In der Trias,
vielleicht auch später wurden hauptsächlich basische Ergüsse, deren
Ausbruchsstelle in dem mächtigen granitischen und dioritischen Eruptiv-
stock von Predazzo (vgl. Bd. I, S. 276) erkannt ist, in Form von Tuff
und Lavadecken namentlich der Trias von Südosttirol eingeschaltet. Noch
großartiger ist die ganz analoge Masse von Tonalit, einer quarzreichen
Abänderung von Diorit, und Granit, die den Re di Castello, den Adamello
und die Presanella zwischen Val di Sole, Balle Camonica und Judikarien
zusammen- setzt, und in der Richtung der sigmoidalen Beugung der
Ostalpen an ihrem Beginne nach Nordosten abgewichen ist. Der Ausbruch
dieses gewaltigen Stockes von Tiefengesteinen erfolgte in
obertriadischer oder nachtriadischer Zeit. Denn da, wo an der
südöstlichen Begrenzung Triaskalkstein vom Tonalit durchbrochen wird,
ist der Kalkstein weithin in Marmor umgewandelt und mit allen den
Silikatmineralen bereichert, die sich in Predazzo oder an den
Kontaktblöcken der Somma (vgl. Bd. I, S. 166) als untrüglicher Beweis
vulkanischen Einflusses aus das sedimentäre Nebengestein einstellen.
Damit ist das verhältnismäßig jugendliche Alter und die intrusive Natur
dieser riesigen Masse dargetan. Wahrscheinlich ist der Tonalit nicht bis
an die Oberfläche gelangt, sondern als Lakkolith in der Kruste
geblieben: während z. B. in der Umgebung des sonst so ähnlichen Stockes
von Predazzo echte vulkanische Ausbruchsgesteine, Tuffe, Lavadecken, in
großer Ausdehnung Vorkommen, ist an dem viel größeren Adamello nichts
derartiges bekannt. Auch sind Geschiebe von Tonalit in vorpleistozänen
Konglomeraten niemals gesunden worden.
Von Intrusivbildungen sind ferner noch zu nennen: der Granitzug von
Meran und Bruneck, der Granit der Lima d' Asta, die
dioritischen, von einer mineralreichen Kontaktzone umgebenen Lakkolithen
von Klausen. Diese letzten sind von höherem, vorpermischem, geologischem
Alter, weil sich Gerölle dieses Diorits in den permischen Konglomeraten
unter dem Porphyr finden. An viel jüngeren Eruptivgesteinen fehlt es
aber auch nicht. Aus der Tertiärzeit stammen die basaltischen Ergüsse
des Vicentinischen und die Trachyte der Euganeen (vgl. Bd. I, S. 271).
Da nun zu diesen bedeutungsvollen Unterschieden zwischen den nördlichen
und südlichen Kalkalpen andere, den Bau im einzelnen beeinflussende
Abweichungen hinzukommen, so darf von einem streng symmetrischen
Bau der Ostalpen nicht gesprochen werden.
Die südliche Kalkzone beginnt als schmales Band am
Südabhang des Massivs der Vier Seen. Ausgedehnte Porphyrdecken,
Konglomerate und rote Sandsteine der Permformation breiten sich
diskordant und transgredierend mit flachen Schichten über den
abgewaschenen Schichtköpfen der gefalteten Gesteine des Seegebirges (mit
Einschuß der karbonischen Bildungen von Manno) aus. Auf dem Perm ruhen
in ununterbrochener Abfolge die mesozoischen Ablagerungen. Sie bilden
eine nach Osten allmählich breiter werdende Sedimenttafel, für deren Bau
bis zum Val Sabbia hauptsächlich Brüche maßgebend sind; nur in den der
Ebene genäherten Teilen des Gebirges werden südwärts gerichtete
Überschiebungen beobachtet. Erst am Idro-See ändert sich der Bau des
Gebirges; in einem mächtigen Bogen dringt die Kalkzone weit nach
Nordnordosten ein, um hier in der Etschbucht auf breiter Fläche ein
gebrochenes, in gewissen Linien wohl auch gefaltetes Schollenland zu
bilden. Die Kalkzone wiederholt also die bekannte sigmoidale Beugung des
Urgebirges. Doch wird die Grenzlinie beider nicht einfach durch
Anlagerung bestimmt, sondern durch einen der großartigsten Brüche der
Alpen, den Judikarienbruch. „Wer vom Idrosee nordwärts in das Tal des
oberen Chiese, die Judikarien, eintritt, sieht zu seiner Linken mächtige
dunkle Massen von permischem Porphyr, Tuff, Schiefer und Sandstein, zu
seiner Rechten aber die bleichen Kalkwände der oberen Trias. Das
Absinken des Gebirges zur Rechten mag wohl leichtlich 2000 m betragen.
Das ist jener gewaltige Bruch, mit welchem das Absinken alles ostwärts
gegen die Etsch liegenden Gebirges beginnt. Auch bei Storo besteht
dieser Gegensatz beider Talseiten. Etwa 9 km weiter in dem geradlinig
gegen Nordnordosten gerichteten Tals, am Ausgang des Val di Daone ist
der Bruch in eine große Flexur übergegangen. Dieselben Bänke des
Muschelkalkes, die weiter gegen Westen mit Granat und Epidot beladen,
als weiße Marmorlagen westwärts unter den Granit tauchen, neigen sich
hier als dunkle petrefaktenreiche Bänke in großen Bogenstücken ostwärts
zum Tals, um unter die höheren Triasbänke hinabzusinken, die in flacher
Lagerung die Ostseite der Judikarien bilden." (E. Sueß.)
Aus dem Judikariental zieht dieser merkwürdige Bruch geradlinig gegen
Nordnordosten, erreicht das Val Rendena, durchquert dann das Gebirge und
kreuzt bei Male das Val di Sole und südlich von Meran das Etschtal. Im
nördlichen Teil dieser 102 km langen Strecke besteht der Westrand des
Bruches aus Gneis und Phyllit. Unmittelbar vor dem Eintritt ins Etschtal
taucht am Bruch ein Tonalitstock hervor; auch weiter ostwärts, wo sich
eine Umbeugung der Judikarienlinie gegen Nordosten und endlich gegen
Osten, ja Ostsüdosten vollzieht, wird der Bruch von einer
langgestreckten, bis Bruneck reichenden Granitzone begleitet. Am Ostende
dieser Zone, doch etwas weiter nördlich, erscheint eine andere
lakkolithische Einschaltung von Granit, die Autholzer Masse; die
Judikarienlinie aber setzt sich in eine Reihe von kindischen
Dolomit-Riffen und Liasgesteinen fort, die durch F. Teller von Bruneck
bis Wimbach unweit Sillian verfolgt und als eine gegen Süden
überschobene Falte im paläozoischen Phyllit erkannt worden ist. Diese
Riffe bilden jedoch nur die Ausläufer eines langgestreckten, gefalteten
mesozoischen Kalkgebirges, das bei Abfaltersbach unweit Sillian beginnt
und zwischen den Längstälern der Drau und Gail ostsüdöstlich bis Villach
hinzieht. Im Norden sowohl wie im Süden ist es von Phyllit umfaßt und
darin gewissermaßen versenkt; denn zwei mächtige Längsbrüche: der
Draubruch im Norden und der Gitsch- oder Gailbruch im Süden, trennen die
mesozoischen Kalkfalten vom Phyllit. Diese Faltungsbrüche vereinigen
sich bei Abfaltersbach, und ihre Fortsetzung ist die Judikarienlinie.
Damit stehen wir vor einer ungefähr 330 km langen Dislokation, die in
ihrem östlichen Teil durch Gebirgsfaltung bedingt ist, während in der
gegen Nordnordosten gerichteten Strecke, der Judikarienlinie im engeren
Sinne, der Bruchcharakter vorwiegt.
Werfen wir nun einen Blick auf das von dem weiten Bogen dieser
Dislokationslinie umrahmte Gebirge. Hier macht sich ein großer
Unterschied zwischen dem östlichen und westlichen Teile geltend. In
diesem nehmen die mesozoischen Kalkbildungen zu beiden Seiten der Etsch,
entsprechend dem Schwenken der Kalkzone gegen Nordnordosten, einen
breiten Raum ein und verschmälern sich allmählich gegen Osten. Hier
tritt dagegen in den Karnischen Alpen zwischen der Auslagerungslinie der
permisch-mesozoischen Schichtfolge und dem Quarzphyllit südlich der
Gaillinie ein intensiv gefaltetes paläozoisches Gebirge in langem, fast
ostwestlichem Zuge hervor, das bei Sillian beginnt und am Ostende der
Karnischen Alpen in die Karawanken übergeht. Die so interessante
Ausbildung dieser paläozoischen, das Silur, Devon und Karbon umfassenden
Schichtreihe haben wir oben an verschiedenen Stellen (S. 117 und 155)
kennen gelernt. Die Schichtfolge ist bis zum Mittelkarbon
ununterbrochen. Dann wurde das Gebirge gefaltet, und im Oberkarbon trat
eine teilweise Transgression ein. So auffallend ist der Gegensatz
zwischen der energisch gefalteten paläozoischen Kette und dem südlich
anschließenden, flach liegenden permisch-mesozoischen Schollenland mit
seinen Absinkungsbrüchen, daß die vorpermische Gebirgsfaltung gerade
hier von G. Stäche und F. Frech bestimmt erkannt werden konnte.
Aus dem permisch-mesozoischen Schollengebirge der südlichen
Kalkalpen erhebt sich östlich von Trient eine große, von
Südwesten nach Nordosten gestreckte Partie von paläozoischem
Quarzphyllit, durchbrochen vom Granit der Lima d'Asta. Diese Partie wird
von manchen als Emporwölbung betrachtet, während E. Sueß in ihr einen
stehengebliebenen Horst erblickt, an dem das Land im Südosten an
mehreren Brüchen, besonders der Suganatal-Spalte, zur Tiefe
niedergebrochen ist. Das tektonische Gesetz, das diesen Teil der Alpen
beherrscht, kommt hier zu großartigem Ausdruck: der Granit der Cima
d'Asta überschiebt den südwärts abgesunkenen Triaskalkstein, und unter
ihm erscheinen in verkehrter Folge der Reihe nach Jura, Kreide und
Eozän.
Zwischen der alten Scholle der Cima d'Asta und der Gegend von Meran, wo
die hakenförmige Beugung der Judikarienlinie beginnt, breitet sich jene
große, schildförmige Porphyrdecke aus, die wir schon (S. 497) flüchtig
erwähnt haben. Dadurch zerfällt das Kalkgebirge in drei Partien; die
südliche umfaßt das Gebiet der Sette Comuni bis in die Gegend von
Belluno, die westliche, das Gebirge der Etschbucht, reicht bis an die
Judikarienlinie, die östliche bildet jenes Gebiet, das man mit wenig
Berechtigung als die „Dolomitregion von Südosttirol" zu bezeichnen
pflegt. Das Land südlich von der Cima d'Asta vergleicht E. Sueß mit
einer großen, südwärts blickenden Treppe, deren Stufen gegen Osten an
Breite und Zahl zu-, an Höhe aber abnehmen. Die Suganatal-Linie läßt
sich mit ihren untergeordneten Spalten nordöstlich gegen Pieve di Cadore
und darüber hinaus verfolgen. Auf mindestens 2000 m schätzt man den
Betrag der Absenkung an dieser Linie, von der die Belluneser Linie
abzweigt und mehr östlich gegen Belluno zieht. Die weitere Fortsetzung
dieser zweiten ist vermutlich die „Frattura periadriatica"
Taramellis, eine Bruchlinie, die bei Gemona den Tagliamento kreuzt und
bis gegen den Isonzo hin die Grenze der höher liegenden Triaskalke gegen
die abgesunkenen und daher südlich vorliegenden Kreide- und Tertiärberge
Venetiens bildet.
Das Gebirge der Etschbucht (Ronsberg, Brentagruppe und
die Bergzüge zwischen der Etsch, dem Garda- und Idro-See) liegt an der
nordnordöstlich streichenden Strecke der Judikarien- linie in einer
Region heftiger Störung, die sich durch das Auftreten mehrerer, der
Judikarien- linie paralleler Linien äußert, an denen die Schichten gegen
Osten oder Südosten gesenkt und überbogen sind. Diese Verbiegungen der
Schichten können als Falten, aber auch als überschobene Flexuren
gedeutet werden; oben (S. 497) haben wir sie mit den Worten von E. Sueß
gekennzeichnet. Einzelne dieser Falten oder Flexuren biegen in der Nähe
des Etschtales nach Osten um. Eine weitere Komplikation ist durch
einzelne nordsüdliche Brüche gegeben, die westlich vom Gardasee, in der
Gegend von Recoaro, fächerförmig auseinandertreten, und zu denen auch
der große Randbruch von Schio gehört, der den langen, in die
venezianische Ebene bis Este vordringenden Sporn alpinen Gebirges gegen
Osten begrenzt.
Östlich von der großen Porphyrplatte von Bozen ist in
den Südtiroler Dolomiten das Gebirge ganz anders angeordnet. Gleichsam
eine flache Schüssel bildend, liegen hier die permisch- mesozoischen
Ablagerungen da. Ein Blick auf einen jener mächtigen Kalkstöcke, wie die
Drei Zinnen bei Schluderbach (f. die Tafel, Bd. I, S. 12), genügt, die
fast horizontale Schichtung und den Mangel echter Faltungserscheinungen
zu erkennen. Dagegen ist dieses durch seine landschaftliche Schönheit
berühmte Gebiet (vgl. S. 200) von zahlreichen großen Brüchen durchzogen.
Unter diesen ist am bedeutendsten die Villnösser Linie, die aus dem
Quarzphyllit von Klausen in das Triasgebirge eintritt, das Fanes-Gebirge
und den Monte Cristallo schneidet und in östlicher Richtung bis Bladen (Sappada)
verfolgt worden ist. Die permischen Schichten, mit denen sich dieses
flache Schollengebirge auf den Quarzphyllit im Norden anlegt, bilden
einen rings hervortretenden Schichtkopf, der als Denudationsrand
aufzufassen ist. Dasselbe gilt auch noch für den weiter östlich
gelegenen und schon bedeutend schmäleren Teil des mesozoischen
Schollenlandes im Comelico und im Ursprungsgebiet des Tagliamento.
Ganz anders in den östlichen Karnischen Alpen und Karawanken. Hier ist
das Kalkgebirge gegen die paläozoische Kette durch einen mächtigen und
verwickelten ostwestlichen Bruch, den Hochwipfelbruch F. Frechs,
abgegrenzt. Anderseits tritt hier die Fortsetzung der Suganatal- Linie
mit fast ostwestlichem Streichen nahe an den Hochwipfelbruch heran.
Daher zerfällt hier das Kalkgebirge in eine hochgradig gestörte
nördliche Zone zwischen dem Hochwipfelbruch und der Suganatal-Save-Linie
und in eine südliche Zone, die Julischen Alpen, die verhältnismäßig
ruhige Lagerung aufweist. Auch in den Karawanken ist das Faltenland
durch steil in die Tiefe setzende Längsbrüche in zahlreiche, weithin
verfolgbare, selbständige Zonen zerspalten. Die Julischen Alpen, die
südwärts an der Isonzo-Linie gegen die kretazisch-tertiäre Zone
abbrechen, gehen in die gegen Südosten hinziehenden dinarischen Ketten
über. Von diesen aber wissen wir, daß sie ebenfalls nach innen, gegen
die Adria, an großen Längslinien zur Tiefe gehen. So vollzieht sich im
Umkreis der Südalpen ein stufenförmiges Abbrechen gegen die
lombardisch-venezianische Ebene und gegen die Adria. E. Sueß schreibt
diesen „periadriatischen" Brüchen und Senkungen eine besondere Bedeutung
zu: die südwärts überschobenen Falten oder Flexuren der südlichen
Kalkalpen sollen durch das Bestreben, die gesunkene Scholle zu
überschieben, entstanden sein. Die erste Anlage der Adria, deren
pleistozäne Erweiterung wir wiederholt besprochen haben (vgl. Bd. I, S.
373; Bd. II, S. 406), wäre demnach eine Erscheinung, die etwas früher
eingetreten sein müßte als die überschobenen Flexuren oder Faltungen.
Vorläufig ist aber diese großartige und einheitliche Auffassung des
südalpinen Gebirgsbaues noch nicht streng bewiesen; im Gegenteil ist für
das dalmatinische Küstenland von G. Stäche die Ansicht ausgesprochen
morden, die tertiäre Faltung der dinarischen Ketten solle dem Einbruch
des alten adriatischen Festlandes vorausgegangen sein.
Mit unserer Bettachtung sind wir nun an das Ostende des Hauptstammes der
Alpen in jenes Gebiet gelangt, wo zwei wichtige Erscheinungen unsere
Aufmerksamkeit fesseln: der verwickelte Abbruch der Alpen gegen das
Wiener und das ungarisch-steirische Miozän-Becken, und zweitens das
rutenförmige Auseinandertreten einzelner alpiner Aste. Diese
Erscheinungen haben wir (Bd. I, S. 360 und 361) eingehend besprochen.
Auch die erdgeschichtliche Entwickelung des Alpensystems, die
wiederholten Faltungen, sind vorher berührt und ausführlich aus Seite
362—364 des I. Bandes dargestellt worden.
Geschichte der Geowissenschaften
Allgemeine Geologie
Geologische Karten
Europa (Siegmund, 1877)
Skandinavien (Siegmund, 1877)
Irland - England (Siegmund, 1877)
Nord-Frankreich (Simonin, 1869)
Frankreich (Siegmund, 1877)
Iberische Halbinsel (Siegmund, 1877)
Deutschland (Siegmund, 1877)
Süddeutschland, Bayern (Neumayr, 1897)
Jura, Schweiz, Schwaben (Neumayr, 1897)
Alpen (Siegmund, 1877)
►
Alpen (Neumayr, 1897)
Westalpen (Neumayr, 1897)
Ostalpen (Neumayr, 1897)
Norditalien, Südalpen, Neumayr, 1897)
Italien - Griechenland (Siegmund, 1877)
Ost-Europa, Ural (Siegmund, 1877)
Weitere Karten: Atacama, Südamerika
Biografien
der Autoren
Neumayr & Uhlig (1897)
Download Zentrum:
Historische Bücher der Geowissenschaften und Bergbau
Neumayr & Uhlig (1897) in der OCR-Version, korrigiert mit Anmerkungen im
Download-Zentrum
Geschichte der Geowissenschaften
Geschichte der Geowissenschaften
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Geschichte Paläontologie
Geschichte der Lagerstättenkunde
Inhalt
Geschichte der Tektonik
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Biografien
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Wörterbuch, Begriffe
Download Zentrum
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Bergbau-Wörterbuch, Begriffe
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Entwicklung 1830 bis 1920
Karte der globalen Bergbauzentren
Liste früher Bergbauschulen
Sicherheit in den Bergwerken
Goldanalyse
Bergbau in der Atacama-Wüste
Silbermine Chañarcillo
Salpeter Abbau bei Taltal
Lagerstättenkunde (span)
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